Ich sitze unter dem Ahornbaum im Garten und staune ins grüne Blattwerk. Eingetaucht in die Grüntöne blinzle ich aus dem Schattenspiel ins gleissende Sonnen-Licht. Die Sinne sind erfüllt von betörenden Düften, von einer verspielten Formenvielfalt und vom Jubilieren der neu erwachten Natur. – Natur, das bin ja auch ich.
In dieser Verbundenheit breitet sich die allgegenwärtige Mai-Freude auch in mir aus. Und mit der Freude beginnt auch die Sorge zu keimen. Bald ist dieser schöne Moment wieder vorbei, es werden Sommerhitze oder Gewitterregen kommen und die Blütenpracht beenden. Die Vogelkinder werden ihre Nester verlassen, die Schwalben wieder fortziehen in den Süden.
Die Sehnsucht
Das ständige Werden und Vergehen der Natur ist mir Anlass zu Trauer und Trost zugleich. Alles fliesst, nichts bleibt in dieser Zeit, denn das Leben ist in Bewegung, ein Wechselspiel zwischen den Polaritäten, ein stetes Schwingen und Pendeln. – Unmittelbar spüre ich im innersten das Ziehen, die Sehnsucht nach dem Unvergänglichen, fast fühlt es sich an wie Heimweh.
Es ist eine Sehnsucht nach dem Urgrund, aus dem alles Leben schöpft. Dem Urgrund, vor dem sich das ganze Naturschauspiel zeigt. Dem Licht hinter der Sonne, die aufgeht und untergeht. Dem unvergänglichen Licht, das uns nicht versengt. – Während ich Teil des Naturschauspiels bin, bekräftigt sich der Entschluss aufs Neue. Ich mache mich auf den Weg, auch wenn ich nicht weiss, wohin der Weg genau führt. Einziger Kompass ist das Vertrauen, dass das Licht mir in jedem Moment entgegenkommt. – Ich sitze im Mai unter dem Ahornbaum im Garten und lausche dem Abendgesang der Amsel. Und ich ahne die Stille.